Ich dachte, ich könnte so weitermachen wie bisher. Jeden Monat kam das Gehalt pünktlich, ich konnte mir im Supermarkt ab und zu die etwas teureren, neuen Kekse leisten und hatte einen Schild gegen all die offensichtlichen Blicke, die einer asiatischen Frau in Deutschland zugeworfen werden. Ich musste mich nicht ernsthaft mit den gelegentlich aufkommenden Leidenschaften auseinandersetzen – ein leichter Hauch von Schuldgefühl reichte aus, um sie zu verdrängen. Bis ich diesen Traum hatte.
Die Menschen schrien und rannten panisch davon. Ein Gorilla, der um ein Vielfaches größer war als ich, zerstörte mit seinen Fäusten alles, was ihm in den Weg kam. Niemand wagte es, sich seiner Wut entgegenzustellen. Ich rannte voller Angst vor seiner riesigen Gestalt und den unkontrollierbaren Gefühlen, die er ausstrahlte. Er schien meine Anwesenheit nicht bemerkt zu haben. Als ich dachte, ich sei weit genug weg, drehte ich mich um.
Der einst wütende Gorilla, der alles in Angst und Schrecken versetzt hatte, saß nun zusammengerollt in einem winzigen Käfig. Eingepfercht hinter engen Metallstäben sah er mich an. Seine Wut war verschwunden. In seinen kleinen Augen lag kein Zorn mehr, sondern eine stille, tiefgründige Betrachtung.
In diesem Moment begriff ich, dass Verzweiflung nicht immer tiefen Schmerz bedeutet. Verzweiflung ist vielmehr wie ein intensiver Genuss, der das Herz stimuliert und das Blut – ob heiß oder kalt – in Bewegung bringt. Doch jener Blick, in dem selbst die Verzweiflung keinen Raum findet, glich dem Schweigen eines heißen Herzens, das in klarem, erstarrtem Eis gefangen ist, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Würde das Eis schmelzen, könnte dieses Herz wieder leben? War er tot oder lebendig? Warum brachte sein Blick mein eigenes Herz so sehr zum Schlagen?
Ich wachte auf, keuchend, mit schwerem Atem. Und dann weinte ich, wie ein Kind, das seine Fassung verliert. Ich hatte weder die Kraft noch die Rechtfertigung oder den Mut, ihn zu retten. Ich würde diesen Gorilla nie wiedersehen. Doch er hatte mir etwas Wichtiges zu sagen versucht – etwas, das nur ich sehen konnte, bevor er vor meinen Augen hilflos verschwand.
Der Gorilla wollte leben.
Er sagte mir, dass er da war. Auch wenn ich im wachen Zustand nicht mehr sehen konnte, dass er existierte, versicherte er mir, dass er wirklich da war. Ich musste etwas tun. Ich musste mich erinnern. Mit zitternden Händen wischte ich mir die Tränen ab, nahm ein kleines Skizzenbuch und einen Bleistift. Der Gorilla wurde mit feinen, unsicheren Linien gezeichnet. Doch diese Linien reichten aus, um die Konturen meiner Erinnerung festzuhalten.
Es gab nur einen Weg, ihn am Leben zu erhalten. Mein Blick fiel auf eine große Leinwand, die ich vor Monaten gekauft hatte. Sie war so riesig, dass sie mich einschüchterte, und ich hatte sie einfach in eine Ecke gestellt. Ich zeigte auf die Leinwand und sagte: „Dort wird der Gorilla entstehen.“
Das war der Moment, in dem ich begann zu malen. Um das zu retten, was leben sollte.